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Die Abtei San Salvatore (Abbadia San Salvatore)

 

(Die Abtei)

 

Die heute vom Kloster noch vorhandenen Bauten im 850 m hoch gelegenen Ort "Abbadia San Salvatore" stehen am Ende eines länglichen, Ost-West ausgerichteten Platzes, der mit Bäumen bestanden ist, darunter in der Mitte eine breit ausladende Zeder. Die ursprünglich auf zwei Türme angelegte Fassade der Kirche (der Nordturm wurde nie vollendet) erinnert an ottonische Bauten nördlich der Alpen, etwa an die Burgkapelle zu Nürnberg. Das Bauschema der Fassade ist in der Tat das einzige Beispiel dieser Art in der Toskana und sehr selten in Italien: ihr Westwerk ist aus der karolingischen und ottonischen Architektur abgeleitet. Der Bau ist aus ziemlich großen Quadern aus grauem Stein errichtet, hat über dem Eingang ein durch zwei Säulen geteiltes Triglyphium, welches wiederum oben in einem Kielbogen von der Fassade abgeteilt ist. Die beiden Türme haben im Sockelgeschoß je nur eine schmale Schießscharte, im ersten Obergarden je eine schmale, ca. 150 cm hohe und 30-40 cm breite Fensteröffnung. Das jeweils dritte Turmgeschoß ist durch einen Rundbogenfries abgesetzt. darüber befindet sich dann sowohl in den Türmen, wie unter dem Langhausgiebel auf der Platzseite, je ein Rundbogenfenster in Mannshöhe. Der Südturm endet zwei Steinreihen darüber und ist flach eingedeckt. Der Nordturm erhebt sich noch etwa um 3/5 der Länge des Südturms auf 24m, hat nach einem umlaufenden Fries eine Glockenstube und darüber ein zinnenbesetztes flaches Dach. Die Schießscharten, die wenigen und kleinen Fensteröffnungen und die Zinnen geben der Kirche ei wehrhaftes Aussehen. In ihrer heutigen Gestalt wurde sie auf Geheiß Papst Benedikt IX am 13. Nov. 1035 durch den Abt Winizzo geweiht, im Beisein des päpstlichen Legaten, des Patriarchen von Aquileia, Pepo,  ferner von 18 Bischöfen und Kardinälen, zahlreichen Klerikern und Laien. Eine Urkunde vom Jahr 1087 enthält die berühmte "Postilla Amiatina", in der die ältesten Verse in toskanischer Sprache überliefert sind:

"Ista cartula est de caput coctu: / ille adiuvet de ille reboctu / qui mal consiliu li mise in corpu." (Questa carta è di una testa calda, lo aiuti ora dall' impaccio chi gli mise in corpo la cattiva dea").

Die Gründung der Abtei geht auf den 15. Mai 742 zurück, als der Longobardenkönig Ratchis (reg. 745-749) dem ersten Abt Erfo die Gründungsurkunde in Chiusi ausstellte. Die erste Kirche ist nach W. Kurze (Dt. Histor. Institut Rom) zwischen 762 und 770 geweiht worden. Das romanische Innere der heutigen, von 1035 stammenden Kirche ist nach dem Lateinerkreuz geformt, das Schiff hat eine Balkendecke, im Presbyterium sind Tonnen- und Kreuzgewölbe, die sich über der Krypta erheben. Fassade und Inneres machen aus der Kirche eines der interessantesten Beispiele vorromanischer Architektur in der Toskana. Renovierungen fanden 1925 und wieder 1963 statt; während letzterer 2 m unter dem jetzigen Fußboden ein Zwischenboden gelegt wurde, um Feuchtigkeitsbildung zu vermeiden. Bei der Restaurierung von 1925 war die Kirche von barocken Einbauten befreit worden, was ihr das wohl ursprünglich strenge, schlichte und mitteleuropäisch anmutende Aussehen zurückgab. Von der Ausstattung ist ein großer, farbig gefasster romanischer Holz- Kruzifix (12. Jh.) am der Südwand bemerkenswert, der als "Christus triumphans" keine Dornenkrone trägt und die Augen offen hält. Es kann sich um eine französische oder byzantinische Arbeit handeln, wie die Restaurierung 1964 ergab. Die Gemälde in der Erlöserkapelle im oberen Teil der Kirche hinter dem Altarraum und in den Bogen des Querschiffs sind von Francesco Nasini (1621-1695). Sie zeigen Szenen aus der erzählten Geschichte der Gründung der Abtei: den Longobardenkönig Ratchis mit Gemahlin und Gefolge bei der Wildschweinjagd am Monte Amiatamassiv, wo ihm in einem Blitzschlag Christus als Erlöser erschien und er beschloss, die Abtei zu gründen.

Die longobardische Krypta

Der älteste und interessanteste Teil der Kirche ist die Krypta, zu der beiderseits der Treppe, welche zur Oberkirche führt, Stufen hinab gehen. Ein "Wald von Säulen" empfängt die Besucher: längs des darüber gebauten Langhauses vier Reihen zu je vier, in den Krypten des Querhauses ebenfalls je vier und weitere zwei in den beiden (ehemaligen) Apsiden. Der letzte Abt zur Zeit der Erbauung der ersten Kirche, Erfo aus Friaul, wurde i. J. 770 hier "in der Säulenkirche" beigesetzt, ["in ecclesia Sancti Salvatoris in Amiata, quam bona memoria Erfo Abbas a fundamentis aedificabat"]. Die vom Eingang her gesehen- vordersten Säulen wurden bei den Restaurierungen von 1925 und 1966/68 erneuert. Von den 36 Säulen sind noch 24 original, mit unterschiedlich geformten Kapitellen: kelchförmig, zoomorph und mit symbolhaften Darstellungen. So hat eine davon (Nr. 1 im Plan) die Form des gordischen Knotens [kunstreich geknüpfter Knoten am Joch eines von Ochsen gezogenen, dem Zeus geweihten Wagens im phrygischen Gordion. Dem Orakel nach sollte dem, der den Knoten lösen konnte, die Herrschaft über Asien zufallen. Alexander d. Gr. hat den Knoten mit einem einzigen Schwerthieb durchschnitten. - In der christlichen Symbolik bedeutet der gordische Knoten die göttliche Ewigkeit, die ohne Anfang und ohne Ende ist]. Ein anderes Kapitell (Nr. 6) zeigt acht Stierköpfe; auf der Säule mit vier Menschen- und vier Pferdeköpfen (Nr. 11) soll das Bild es Königs Ratchis sein: mit Aureole, Szepter in der Rechten, langem Bart, unter dem in äthiopischer (koptischer?) Schrift "König" steht. Ein königlicher Frauenkopf mit Diadem könnte Königin Tasia zugeordnet werden, oder Erminia, der Gattin des Ratchis. Im Mönchskopf mit Käppchen will man Erfo, den ersten Abt des Klosters erkennen. Die vierte Person stellt einen Edelmann dar, der, in einen Mantel gehüllt, in der Rechten ein Schmuckkästchen trägt und in der anderen die Zügel eines Pferdes hält: der Kämmerer des Königs, der das Geld für den Bau der Kirche bringt? - (Oder das Reliquienkästchen, von dem weiter unten die Rede sein wird ?)

klosterhof und ehemaliges Skriptorium

Von der Kirche führt eine Türe in den Flur des benachbarten Abtshauses, welches noch steht, von dort in den ehemaligen Kreuzgang, von dem nur noch zwei Seiten erhalten sind, und in den ehemaligen Klosterhof. Vom Nordflügel des Kreuzgangs führt eine ehemalige Türöffnung in einen nach Osten ausgerichteten Raum, von dem nur noch niedrige Mauern stehen. Er wird als das Skriptorium des Klosters angesehen. Von dort betritt man eine kleine Aussichtsterrasse, die über einem Obstgarten den Blick nach Osten auf die Felspyramide der Rocca Radicofani und ins Tal der Chiana und zum Trasimeno See öffnet.

San Salvatore als Stützpunkt an der "Via Francigena"

Vergegenwärtigt man sich bei diesem Blick die Lage des Klosters zu den Verkehrswegen des Mittelalters, so versteht man viel besser, warum der "Codex Amiatinus", die Bibelhandschrift des siebten Jahrhunderts, die vom achten bis zum achtzehnten Jahrhundert im Kloster San Salvatore am Monte Amiata verwahrt wurde und heute in der Biblioteca Laurenziana in Florenz liegt, nach seiner Fertigstellung im nordenglischen Wearmouth & Jarrow, auf seinem Weg nach Rom hier im Kloster geblieben war. Die "Via Francigena" ("die in Frankreich beginnende") ist der kürzeste Landweg von England nach Rom, von Calais über Arras, Reims, Besançon, Pontarlier, Lausanne, den Großen Sankt Bernhard, das Aostatal, Ivrea, Vercelli, Pavia, Piacenza, den Cisa-Pass (über Berceto im Norden und Pontremoli im Süden), über Aulla, Luni nach Lucca, von da über San Gimignano, Siena und San Quirico d'Orcia, sie berührt den Osthang des Amiata, bevor sie über Bolsena, Viterbo, Sutri in Rom am Ponte Milvio mündet. Ab Siena folgt die "Via Francigena" nämlich der römischen "Via Cassia", die einen Seitenarm durch das Paglia-Tal und durch die Täler der Orcia und der Arbia ausstreckt, der noch aus etruskischer Zeit herrührt und unmittelbar dort vorbeiführt, wo San Salvatore liegt. Die Longobarden hatten die "Via Francigena" nicht nur als eine der wichtigsten mittelalterlichen Straßen nach Rom auf vorrömischen und römischen Wegen eingerichtet. An ihr entlang waren Verteidigungs- und Kontrollposten, welche die Verbindung von der Residenzstadt Pavia zu den südlichen longobardischen Herzogtümern Spoleto und Benevent sicherten. Einer davon war die gut befestigte und wirtschaftsstarke Abtei San Salvatore. Die Pilger, die aus England und Frankreich Rom wanderten, benutzen die "Via Francigena" ebenso wie die Niederländer und Deutschen, die einen Zweig der uralten Fernverkehrstrasse rheinaufwärts über Basel und den Jura bis Pontarlier nutzten, wie die Spanier, die vom Westen kommend, bei Pavia auf den Fernweg stießen. In den Erinnerungen des Erzbischofs von Canterbury Sigeric, die alle Reiseetappen seiner Rückkehr 990 bis 994 aus Rom bis zu seinem Erzbistum festhalten, lassen sich die Orte identifizieren.

Der Codex Amiatinus

Auf diesem Weg gelangte also der "Codex Amiatinus" nach San Salvatore, ebenso wie ein heute dort noch verwahrtes Reliquiar iroschottischer Herkunft, rechteckig mit dachförmigem Deckel, dessen First zwei voneinander abgewandte goldene Entenköpfe zieren. Die Abmessungen des Kästchens sind: 95mm hoch, 45mm breit, 120mm lang). Nur in den Museen von Trondheim und Coenamge, in Dublin, Edinburgh und Boston gibt es vergleichbare aus dem Norden Europas stammende Reliquiare, wenn auch die Schmuckformen und die Cloisontechnik des von San Salvatore einmalig sind. Datiert wir das Kästchen in die Mitte des 8 Jahrhunderts, nach Meinung von Michael Ryan (Dublin, National Museum) sogar zwischen das 6. und 7. Jahrhundert. Es enthält noch heute Knochenreliquien, vielleicht von Sankt Columban, einem der Nationalheiligen der Iren, der die iroschottische Mission auf das Festland nach Luxeuil, Sankt Gallen und Bobbio gebracht hat. Percy Ernst Schramm (Monumenta Germaniae Historica, Leipzig 1934) nennt das Reliquiar im Zusammenhang mit der Weihe der Kirche im Jahr 742; vielleiht war es ein Geschenk zu dieser Gelegenheit. Das Kästchen, im Hauptaltar wieder gefunden, ist noch heute mit Wachs und einem Abtssiegel verschlossen.

Über die Geschichte des "Codex Amiatinus" schreibt Angelo Mercati, der Bibliothekar der Vaticana, (in seinem in der Rivista Biblica 1922 erschienen Aufsatz "Per la storia del codice amiatino"): Nachdem der Heilige Hieronymus (350-420) seine auf Anregung des Papstes Damasus (366-384) begonnene Übersetzung der Bibel ins Lateinische (die Vulgata) vollendet hatte, wurden davon sogleich Kopien nach Italien und Spanien, auch nach Irland geschickt. Eine der nach Rom geschickten Kopien gelangte im 6. Jahrhundert nach Vivarium (heute Squillace in Kalabrien), der von Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus (ca. 480-575) begründeten klosterähnlichen Bruderschaft zum Abschreiben antiker Texte. Cassiodor ließ davon wiederum mehrere Kopien herstellen, da das "Original" (d.h. die Abschrift aus Hieronymus' Zeit) schon zwei Jahrhunderte alt war). Eine von diesen Kopien (der nunmehr dritten Generation) gelangte über Irland nach England. Hundert Jahre später ließ der Abt Ceolfrid des Doppelklosters Wearmouth & Jarrow von einer dieser Kopien wiederum weitere Abschriften für die Diözesen Englands herstellen (in nunmehr vierter Generation der Kopien). Um aber die päpstliche Approbation für die Authentizität dieser Textabschrift zu erhalten, vertraute er eine besonders kostbar ausgestattete Kopie einem seiner Mönche an, der sie nach Rom bringen und dort mit der ältesten vorhandenen Abschrift vergleichen sollte. Der Mönch starb unterwegs im Kloster San Salvatore, das Manuskript blieb beim dortigen Abt, der das Projekt des Engländers nicht billigte. Er wusste, Handschriften aus der Zeit des Hieronymus waren längst von den Invasoren Roms vernichtet worden. Vielleicht war ihm aber auch klar, welcher Schatz ihm da zugefallen war. Der Codex enthält die ganze Bibel, das Alte und das Neue Testament, ohne das Buch Baruch. Es ist auf Ziegenpergament in Unziale geschrieben. Berühmt sind die auf Purpurgrund gemalten Tafeln, besonders Tafel VI mit der Darstellung des Propheten Esra vor dem noch spätantiken Rollenschrank, in dem nun jedoch keine Buchrollen ("Volumina") mehr, sondern die in rotes Leder gebundenen Codices der Bibel liegend aufbewahrt zu sehen sind. Man will in der Darstellung des Propheten Esra den Urheber der Vorgänger-Abschrift, Cassiodor selbst erkennen. Papst Pius II, der gelehrte Humanist Enea Silvio Piccolomini (1405-64), der unweit von San Salvatore in Corsignano geboren war (das nach ihm Pienza genannt wurde), hat die Handschrift im Sommer 1462 mit großer Bewunderung gesehen, wie er in seinen Kommentaren "Cupide vidi" schreibt.

 

(Der Holz-Cruzifix)

 

(Die Krypta)